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„Der lineare Weg geht in die Hose“

Ein Gespräch mit dem Unternehmer Rainer Schultheis

Mit diesem Beitrag begebe ich mich auf neues Terrain. Ich portraitiere Menschen in ausführlichen Interviews. Mein erster Gesprächspartner ist Rainer Schultheis, CEO der Saphenus Medical Technology GmbH, einem österreichischen Medizintechnikunternehmen, das 2016 in Krems gegründet wurde und sich zum Ziel gesetzt hat, mit Hilfe bionischer Prinzipien innovative Produktkategorie für mehr Gangsicherheit und weniger Schmerzen für Amputierte und Diabetiker zu entwickeln. Sein Ziel ist es, regenerative Ansätze zu nutzen, um Menschen zu helfen, ihre Gliedmaßen zu behalten und ihre Lebensqualität zu verbessern. Saphenus ist unser erstes Unternehmen, das Mitglied geworden ist.

Bevor er zum Unternehmer wurde, sammelte Rainer Schultheis zwanzig Jahre lang Erfahrung als Wissenschaftsjournalist und Autor, u.a. beim Österreichischen Rundfunk (ORF). Seit 2005 war er am Sustainable Europe Research Institute (SERI) an mehreren wissenschaftlichen Projekten zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit (Schwerpunkt Human- und Sozialkapital) beteiligt. Gemeinsam mit Accent gründete er in Baden/Wien die MedTech Factory zur Unterstützung junger Unternehmen in diesem Bereich. Rainer Schultheis studierte an der Universität Wien (Meteorologie) und an der Wirtschaftsuniversität (Betriebswirtschaftslehre) und ist auch Mitglied im Austrian Chapter des Club of Rome. 

Im Interview geht es um die Bedeutung von Nachhaltigkeit für den Erfolg von Start-ups, insbesondere im Hinblick auf die Akquise von Förderungen und Investoren. Schultheis betont, dass ein Umdenken in Bezug auf lineares Wachstum notwendig ist und dass dies nicht nur für die Medizintechnik, sondern auch für junge Unternehmen in ihrer Wachstumsphase gilt. Die Ernsthaftigkeit, sich mit Social Impact und Nachhaltigkeitsthemen zu befassen, sieht er als entscheidend für den Unternehmenserfolg.

Er spricht dabei auch die Herausforderung an, dass viele innovative Medizinprodukte von großen Konzernen aufgekauft und vom Markt genommen werden, um die eigenen Produkte nicht zu gefährden. Wie können vor diesem Hintergrund Start-ups in Österreich in Österreich so unterstützt werden, dass sie nicht gezwungen sind, ins Ausland zu gehen oder verkauft zu werden. Schultheis sieht sich dabei selbst als Role Model und hebt die Schaffung von Strukturen wie Inkubatoren und Netzwerken her, um Wissen zu teilen und Nachhaltigkeit in Unternehmen zu integrieren. Er betont auch die Wichtigkeit, die Gründerpersönlichkeiten zu bewerten, um sicherzustellen, dass sie die Werte des Unternehmens langfristig aufrechterhalten.

Einen Ausschnitt dieses Interviews gibt es auch auf der Website von „Wachstum im Wandel Österreich„.

Alle Fotos: Fritz Hinterberger

Fritz: Lieber Rainer, wir kennen uns seit 20 Jahren und haben in verschiedene Zusammenhängen zusammen gearbeitet. Beginnen wir mit Dir und Deinem Unternehmen. Du bist ja in einem Bereich tätig, mit dem die meisten von uns hoffentlich nie etwas zu tun haben.

Rainer: Ja, und gleichzeitig ist es eine überraschend große Gruppe von Menschen, die betroffen sind. Man spricht in unseren Breiten von ungefähr 0,5 % der Bevölkerung, die amputiert ist. Das bedeutet zum Beispiel in Österreich zwischen 30 und 40.000 Menschen und in Deutschland eben das Zehnfache, in Europa 2 bis 2,5 Millionen. Übrigens sind die meisten Amputationen bei uns eine Folgeerscheinung von Diabetes. Sogenannte traumatische Amputationen, zum Beispiel durch einen Unfall mit dem Auto oder Motorrad, gehen laufend zurück, vor allem weil man viele heute in der Intensivmedizin retten kann. Und ein kleines Bonmot Die, die. Übrigens ist die Zahl der Diabetesamputationen ist in den USA doppelt so hoch wie in Europa. 

Und auf der anderen Seite haben die erschreckenden Ereignisse der letzten Jahre in den Kriegsgebieten, also Israel, Palästina, Ukraine und Russland für eine furchtbare Anzahl an Amputationen gesorgt, wo die Amputation leider offenbar Teil einer Kriegsstrategie ist – mit Minenfeldern im Übrigen so groß wie Österreich. Also jeder zweite Verwundete im Krieg der Ukraine ist einer, der amputiert werden muss. Das heißt, dort sind sehr sehr viele von traumatischen Amputationen betroffen. Und dann hast du generell in Entwicklungsländern viele Amputationen durch schlechte Infrastruktur. Menschen geraten zum Beispiel in Stromkreise und insgesamt spricht man weltweit von 50 bis 55 Millionen Amputierten. Das ist ein Markt, der gar nicht bedient werden kann. Es ist unfassbar. 

Fritz: Wie stellt sich die aktuelle Situation jenseits der nackten Zahlen für Dich dar.

Über die Hälfte dieser Amputatierten – also an die 30 Millionen Menschen – haben keine Prothese. Sie sitzen im besten Fall zu Hause, oft haben sie aber auch niemanden, der sie von A nach B bringt und werden, wenn sie Pech haben, auch ausgestoßen. Das ist eine sehr große Zahl. Und bei Amputationen ist es auch so im Vergleich zu anderen Behinderungen oder Krankheiten, so dass es von außen deutlich sichtbar und somit sehr emotional ist, wenn jemandem Gliedmaßen fehlen. Das ist sofort etwas, was einen berührt. Also der Markt ist überraschend groß und viele sind leider unversorgt. 

Rainer: Heute erhalten viele Amputierte keine angemessene prothetische Versorgung und es muss daher das Ziel sein, Prothesen kostengünstiger oder sogar kostenlos zur Verfügung zu stellen – weder in Österreich und erst recht nicht im globalen Süden. Das Unternehmen Saphenus arbeitet an Lösungen, um diesen Gap zu schließen und Prothesen leistbarer zu machen, ohne dabei auf Qualität und Funktionalität zu verzichten.

Fritz: Von welchen Größenordnungen sprechen wir da finanziell?

Rainer: In unseren Breiten, wo die Lohnkosten so hoch sind, machen diese fast die gesamten Kosten einer Prothese aus, weil die Schäfte genau auf den Körper angepasst werden müssen. Zusammen mit der eigentlichen Prothese kommt man dann auf eine Größenordnung von  70 bis  80.000 € für eine Unterschenkelprothese, die alle sechs Jahre erneuert wird. Und man kann etwa sagen, dass die Preise für jemanden, dem dann auch noch ein Knie fehlt, also der Oberschenkel amputiert wurde, sich noch einmal verdoppeln bis verdreifachen. 

Fritz: Sind diese Kosten von Versicherungen gedeckt?

Rainer: Mehr oder weniger. Denn es gibt hier eine deutliche Zweiklassengesellschaft – zwischen denen, denen ein Unfall in der Freizeit passiert ist, und denen, wo das bei der Arbeit oder auf dem Weg zur Arbeit passiert. Das heißt, bei einem Arbeitsunfall wird per Gesetz die bestmögliche Versorgung gewährleistet. Und das bedeutet zum Beispiel bei einem Oberschenkelamputation, dass jemand relativ anstandslos vom Staat eine mikroprozessgesteuerte Prothese mit Schaft in der Größenordnung zwischen 80 und 100.000 € bekommt, die alle sechs Jahre neu gebaut wird. Passiert der gleiche Unfall mit der gleichen Amputationshöhe und dem gleichen Amputationsgrund allerdings in der Freizeit, steht dir nur eine Prothese zu, die maximal 10 bis 15.000 € kosten darf. Das ist ungerecht. 

Und ich meine, wenn wir auf die SDGs schauen und auch auf die UN Behindertenkonvention, steht ja eigentlich allen Menschen die gleiche soziale Teilhabe zu. Es ist mir unverständlich, dass der Gesetzgeber da so große Unterschiede macht. Warum soll jemand, der einen Freizeitunfall hatte, bei jeder Stiege beim Runtergehen stehen bleiben? Und der, der einen Arbeitsunfall hat, darf die Stiege durchgehen, obwohl er die gleiche Amputation erfahren hat. 

Fritz: Und euer Produkt kann jetzt für beide angewendet werden. 

Rainer: Unser Produkt kann beides und kann damit möglicherweise genau diesen Gap schließen, weil es dazu führt, dass die Patienten die Prothese auch im Analogen ohne zusätzliche Mikroprozessoren so „spüren“ können. So war es wirklich erstaunlich für uns zu hören, dass Betroffene nach ein paar Wochen das Gefühl haben, ihre Prothese sei genauso warm wie ihr erhaltenes Bein. 

Die Forschung hat uns gezeigt, dass dieser Sense of Touch eine unglaubliche regenerative Kraft hat. Die Amputation periphärer Gliedmaßen ist letztlich ein „Use Case“ für den wir mit diesem Wissen einen wichtigen Beitrag liefern können. 

Das ermöglicht, dass du vieles machen kannst, was vorher nicht möglich war. Und da spreche ich das Stiegensteigen an, aber auch zum Beispiel im Dunklen zu gehen ist fast ebenso unmöglich wie Rückwärtsgehen. Das wird mit unserem Feedback-system plötzlich viel leichter und somit eine schöne Möglichkeit, auch mit einfachen Prothesen die Lebensqualität deutlich zu verbessern. 

Fritz: Und damit geht ihr jetzt in Länder wie Tunesien oder die Ukraine.

Rainer: Wir haben uns bereits recht früh – noch bevor das Medizinprodukt als solches zugelassen wurde – durch einen extrem engagierten  aus einer Unternehmerfamilie stammenden Menschen, Christian Bouda, begonnen, in einem Land, in dem 90 % der Amputierten keine Prothese haben, nämlich Tunesien, begonnen, es Leuten mit einfachsten Mitteln möglich zu machen, wieder auf beiden Beinen zu stehen. Das war ein unglaublich tolles Projekt. Wir haben jetzt „Second Leg“, sozusagen in Analogie zu Second Hand, weil wir beginnend mit Einsammeln von Prothesen bei der AUVA bis hin zu mit den Materialien, die vor Ort verfügbar sind, Prothesen gebaut haben. 

Und wir haben wir haben es dort mit großer Innovationskraft und gleichzeitig viel Improvisation geschafft inzwischen wirklich schon viele Menschen zu versorgen. Aber noch viel mehr haben wir gelernt daraus. Das war für uns der  Proof of Concept für andere Regionen? Und dann ging der Krieg in der Ukraine los. So sind wir jetzt auch tatsächlich sehr früh für ein Unternehmen in der Kriegsregion und versorgen dort Menschen, die, die traumatisiert ihr Bein verloren haben. 

Fritz: Was kommt aus diesen Erfahrungen wieder nach Österreich zurück?

Rainer: All diese Projekte helfen uns besser zu verstehen, wie wir Prothesen leistbarer machen können und gleichzeitig die von uns entwickelten bionischen Prinzipien mittragen. Deswegen haben wir uns auch neben der Ukraine und Tunesien und in einen ganz anderen Markt begeben, nämlich nach Asien, um zu sehen ob es dort Hersteller gibt, die mit unserem Anspruch der Regulatorik günstig Prothesen herstellen und mit ihnen vielleicht gemeinsam proprietäre Lösungen zu finden. 

Fritz: Was bedeutet das letztlich für das Unternehmen Saphenus? 

Rainer: Ich würde das vielleicht in Analogie vergleichen mit einer Krankenkassenbrille. Prothesen werden in einem hochregulierten und alles andere als freiem Markt erzeugt und verteilt. Uns geht es darum die prothetische Versorgung zu verbessern und so etwas für das Gemeinwohl tun, indem die Dinge billiger werden – für die Betroffenen und für den Staat. Uns schwebt sogar vor, dass eigentlich Prothesen gar nichts mehr kosten dürften, sondern allein die Fertigung der Schäfte. Und dass die Prothesen für die Nutzungszeit den Amputierten zur Verfügung gestellt werden – vielleicht gegen eine Leihgebühr, die die Krankenkasse bezahlt. 

Schließlich liegt die Lebenserwartung eines Amputierten im Schnitt bei sechs Jahren, weil viele auch andere Erkrankungen haben. Teure Prothesen halten aber in der Regel viel länger und sind auch nicht so hochtechnologisch, dass sie halt nur sechs Jahre Bestand haben.

Da ist die Frage schon erlaubt, ob 100.000 € alle sechs Jahre wirklich  Sinn machen, wenn man mit 100.000 € zehn Amputierte mit unserem System versorgen kann, mit praktisch derselben Lebensqualität. 

Wenn wir die wenn wir die diese Idee in die breite Masse streuen, dann fallen die Kosten unseres Systems defakto nicht ins Gewicht. Und unser Ziel ist es dann eigentlich nur noch, dass der Staat bzw. die staatlich organisierte Sozialversicherung im Wesentlichen die Kosten der Anpassung zu tragen hat. Aber die Kosten der Prothese selber dürfen nicht mehr das das Argument dafür oder dagegen sein. 

Fritz: Lieber Rainer, Du bist soeben Mitglied bei Wachstum im Wandel geworden. Warum?

Rainer: Aus meiner Sicht ist es eine Notwendigkeit für Start-ups, um besser überleben zu können, dass die Nachhaltigkeit Teil des ganzen sein muss. Und meiner Meinung nach hat es auch den Erfolg unseres Unternehmens von Anfang an beeinflusst – sei es bei dem Akquirieren von Förderungen, aber auch jetzt bei der Suche nach Investoren. Und auch die Ernsthaftigkeit, sich diesen sogenannten Social Impact Themen zu widmen, ist dabei ein ganz wichtiger Aspekt.

Fritz: Was interessiert Dich dabei an „Wachstum im Wandel“ – wie verbindet sich das Thema mit Deiner Arbeit

Rainer: Weil ich sehe, dass wir nicht diesen klassischen linearen Weg, wie Unternehmen heute üblicherweise geführt werden und wie sich Unternehmen demnach entwickeln, gehen können. Weil das für ein Medizintechnikunternehmen in die Hose geht. Möglicherweise nicht so sehr im klassischen Sinne, wie es in vielen Bereichen der Wirtschaft in die Hose geht – und es betrifft im Übrigen nicht nur die Medizintechnik sondern wahrscheinlich auch viele andere junge Unternehmen, die in ihrem Lauf ihrer Wachstumsphase daran arbeiten müssen, dass sie immer genug zum Leben und auch noch ausreichend Energie in Form von Liquidität bei sich haben. Für diese Unternehmen ist es extrem wichtig, den Wachstumsgedanken neu zu definieren. 

Und daher macht es Sinn, von Anfang an diese Hausaufgaben der Nachhaltigkeit neu zu erledigen und sich dem „Wachstum im Wandel“ zu stellen, um das Unternehmen letztlich erfolgreich führen zu können. 

Das gilt gerade in den Branchen, die sich typischerweise nicht oder nur selten mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigen müssen, weil sie an sich schon aus ihrem Geschäftszweck heraus Beiträge für die Gesellschaft leisten. Ich würde mir auch wünschen und auch von Nachhaltigkeitsforschern einfordern, auch nach Ansätzen zu suchen, wie man in solchen Branchen mit der Nachhaltigkeit umgeht, wenn es um sozial nachhaltige Aspekte geht und welche Bewertungskriterien es dafür gibt.

Fritz: Wie geht das konkret?

Rainer: Nachhaltigkeitsfaktoren sind letztlich ganz wichtige Wachstumsfaktoren für Unternehmen in dieser Branche. Nehmen wir den Fall meines Unternehmens in der Prothetik. Wir haben es aus einer neuen Technologie heraus möglich gemacht, unsere Unternehmensidee für einfache und damit kostengünstige Prothesen anzuwenden und damit Marktanteile zu erwirtschaften, die im klassischen High-Tech-bereich unmöglich wären. So werden unsere Prothesen, teilweise auch gebrauchte Prothesen, für Menschen leistbar, für die sie es bisher nicht waren – etwa in Tunesien oder in der Ukraine, wo es einen unvorstellbar großen Bedarf gibt bei gleichzeitig mangelhafter Versorgung durch den Staat. Wir reden hier von Preisunterschieden in einer Größenordnung von bis zu 1:10.

Fritz: Was ist deine Vision? Wo ist Saphenus in zehn Jahren?

Rainer: Also meine Vision kommt zunächst einmal aus der von uns entwickelten Technologie zur Zuführung peripherer Sensibilität, für die wir komplett neues Wissen, für das 2021 auch der Medizin-Nobelpreis vergeben wurde, in eine praktisch anwendbare Idee umgesetzt haben. Und mein Ziel ist es, als sozialer Entrepreneur diese Ideen für möglichst viele weitere medizinische Formenkreise anzuwenden, weil ich davon überzeugt bin, dass wir mit solchen regenerativen Ansätzen viel erfolgreicher sind als mit klassischen Produkten. 

Fritz: Bitte nenne uns Beispiele!

Rainer: Es gibt neben der Prothetik auch Bereiche in der Vorstufe von Amputation bei diabetischer Polyneuropathie zum Beispiel, wo man den Menschen helfen kann, ihre Gliedmaßen zu behalten. Das geht aber hin bis in den Büroalltag, wo wir es durch Zuführung von Sensibilität schaffen können, Menschen, die, die sich nicht mehr bewegen, über den Sense of Touch zu helfen, dass es ihnen besser geht. 

Das ist jetzt einmal rein unternehmerisch gedacht. Was ich als Unternehmer dabei erreichen möchte ist, mich unabhängig davon zu machen, das Unternehmen am Ende verkaufen zu müssen um die hinein gesteckte Energie zurück zu verdienen. Ich glaube, dass unsere Ideen als Langzeitideen das Unternehmen tragen können. Ob uns das gelingen wird, kann ich heute nicht sagen; ob wir in zehn Jahren noch auf dem Markt sind oder doch von einem anderen Unternehmen gekauft wurden. Ich bin mir aber sicher, dass das nächste und übernächste Projekt dann eines ist, wo ich völlig unabhängig bin und diese Energie, die wir da bekommen, dafür nutzen können, dass wir einen einem nicht unwichtigen Zweig in der Medizin besetzen können. Das ist mein Hauptziel 

Fritz: Was soll darf und soll dabei wachsen? Wovon brauchen wir vielleicht weniger in so einem Prozess, in diesem Umfeld, in dieser Branche?

Rainer: Ganz vordergründig betrachtet geht es natürlich darum, das diese Therapie und damit unsere Medizinprodukte möglichst vielen Menschen zugutekommt. Das heißt, dass wir den klassischen SDGs, die in unserem Nachhaltigkeitsprogramm erarbeitet haben, gerecht werden und dass damit schließlich das Wellbeing vieler Menschen sich dadurch erhöht. Und das muss letztlich auf globaler Ebene passieren. Das heißt, dass wir uns davon verabschieden müssen, nur auf die zunächst angepeilten Märkte in den reichen Industrieländern zu gehen, sondern dass man immer das große Ganze betrachten muss. 

Im Extrem ist würde ich sogar sagen, dass nämlich sonst die Gefahr besteht, dass überhaupt ein Medizinprodukt, das sich als Disruption herausstellen könnte, als allererstes von einem Konkurrenten gekauft wird und in der Schublade verschwindet. Und zwar genau deswegen, weil sie Angst haben davor, dass unser Medizinprodukt ihre Medizinprodukte sozusagen unterminiert. Das ist ein Riesenproblem der gesamten Branche. Wir sehen das sehr oft, dass das, dass große Hersteller etwas kaufen, um es einfach verschwinden zu lassen. Da braucht es dringend einen Paradigmenwechsel. 

Fritz: Wie kann der herbeigeführt werden? 

Rainer: Durch Role Models wie uns möglicherweise, indem wir versuchen, uns nicht kaufen zu lassen. Wir haben in Österreich eine unglaublich tolle Anschubfinanzierung am Anfang. Pre-Seed Förderung ist phantastisch – und dann hört es plötzlich auf. Dann musst du dich irgendwie über die Grenzen Österreichs hinaus um Kapitalgeber bemühen, die aber alle nur unter der Bedingung Kapital hineinwerfen ins Unternehmen, dass du nachher verkauft wirst. Das nennt man Exit-Strategie. Aber das ist eine Einbahnsituation und daher unbefriedigend. Es braucht daher meiner Meinung nach Unternehmer, die es anders machen – die dazu verpflichten, mit dieser Energie, die sie letztlich mit österreichischem Steuergeld bekommen haben, etwas zu tun, das die Substanz erhält oder sogar vergrößert. Das kann man durchaus als wirtschaftspolitischen Auftrag sehen, dass das, was wir aufgebaus haben, im Land bleibt und Unternehmen nicht nach Amerika ziehen müssen, wie es leider so oft passiert. 

In Österreich werden Millionen ausgegeben für Pre-Seed-Förderung und kaum braucht man Risikokapital muss schon der Sitz nach Santa Barbara gewechselt werden. Das sollte auf jeden Fall verhindert werden – und zwar aus mehreren Gründen nicht zuletzt auch aus Nachhaltigkeitsgründen. 

Fritz: Wie erreichst du das? Also, was tust du dafür und welche Rahmenbedingungen braucht es? Oder gibt es Hemmnisse, dass das eigentlich gar nicht geht? 

Rainer: Wir haben jetzt vor geraumer Zeit die MedTech Factory in Baden gegründet, wo wir mit jungen Unternehmen daran arbeiten, Innovation schneller in ein Medizinprodukt umwandeln wollen. Dafür braucht es Gründer, die, die eine tolle Idee haben und Multiplikatoren wie zum Beispiel über die Inkubatoren. Und du brauchst Gleichgesinnte, die bereit sind, dieses Wissen auch weiterzugeben. Und gerade in unserer Branche, in der Medizintechnik, ist das ja überraschend viel Wissen verfügbar. Aber niemand kennt es und folglich wird daraus auch kein Geschäft gemacht. Und daher ist es wichtig, das Qualitätsmanagement, das in jedem Medizintechnik-Unternehmen einen großen Stellenwert hat, von Anfang an mit einem Nachhaltigkeitsmanagement zu verknüpfen. Oder die Regulatorik, die viele Unternehmen als großen Stolperstein sehen, als Chance zu betrachten, um über die Nachhaltigkeit auch eine Transparenz im Unternehmen darzustellen. Und da helfen einem schon bestehende Strategien aus der Nachhaltigkeit, Stichwort zum Beispiel Gemeinwohlökonomie oder die Kreislaufwirtschaft mit ihrem Fokus auf Lieferketten. 

Die, die dich verpflichten, in gewisser Weise auch offen zu sein und bereit zu sein, sich auch zu verändern. Und da tut man sich am Anfang viel, viel leichter, als wenn man dann ein gestandenes Unternehmen ist. Da ist man am Anfang viel, viel flexibler und dynamischer. Daher sehe ich  es als gute Möglichkeit, sich zu profilieren und ich sehe in Österreich da auch wirklich wirklich tolle Mitstreiter gerade in dieser ersten Frühphase der Unternehmensgründung. Die Stolpersteine sind natürlich handelnde Personen, die das Unternehmen gegründet haben und sich nicht an den in diesem Sinne erweiterten hippokratischen Eid halten und dann vielleicht auch im Laufe der Zeit zu gierig werden oder ihre Grundsätze zu verlassen. 

Fritz: was kann man dagegen tun?

Rainer: Also wir machen in der MedTech Factory schon eine Art Profiling der Menschen, die sich bewerben. Denn der Aufwand von uns ist eigentlich sehr groß und auch großzügig wie auch sehr vertrauensvoll. Und auch der Staat gibt einem dabei einen unglaublichen Vertrauensvorschuss in Form von Geld für etwas, das  morgen in der Rundablage landen kann. Und entsprechend, glaube ich, muss man sich noch genauer mit den Menschen beschäftigen, die so etwas machen. Schon rein aus finanziellen Gründen. 

Fritz: Es braucht ein bestimmtes Mindset?

Rainer: Ja, und sich mit diesen Themen auseinander zu setzen. Die Förderinstitute tun das ja zum Teil schon, indem sie bedingt rückzahlbare Zuschüsse anbieten, sodass du bei späteren Gewinn später das Geld wieder zurückzahlen kannst – und sollst. Das kann aber meiner Meinung nach neu und viel, viel größer gedacht werden. Bei „smart“ steckt auch immer ein bisschen die Idee jemanden hinters Licht zu führen drin, Geld verdienen und dann nichts mehr arbeiten müssen. Das darf es nicht sein. 

Fritz: Bei Start-ups sprechen wir ja in erster Linie von jungen Menschen.

Rainer: Ja, und ich glaube auch, dass diese Generation das auch viel stärker mitbringt als frühere Generationen. Aber es gibt viele Branchen, die schauen dich immer noch mit einem großen Fragezeichen an, wenn du da mit diesen Themen kommst. Nehmen wir das  Beispiel BioTech. Da steckt das Wort „Bio“ sogar drinnen, aber die Branche hat mit Nachhaltigkeit in den meisten Fällen sehr, sehr wenig zu tun. Das ist irre, wenn du dir nur zum Beispiel die Nachhaltigkeitsziele der WTO anschaust, dann hast du wie einen Setzkasten Bereiche und Ziele, mit denen sich Unternehmen auseinandersetzen müssen.

Fritz: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Rainer: ich danke Dir!

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