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Keine Nachhaltigkeit ohne Frieden und kein Frieden ohne Nachhaltigkeit

Ein Interview mit Verena Winiwarter

„Ich habe mir vorgenommen, das letzte Viertel meines Lebens damit zu verbringen, der Friedensbewegung von der Dramatik zu erzählen, die Aufrüstung und Krieg für die Umwelt produzieren – und der Umweltbewegung klar zu machen, dass es ohne Frieden keinen Umweltschutz gibt“, sagt die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter, Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ich treffe sie in einem Wiener Kaffeehaus. Als Historikerin sei sie „zuständig für historische Kontextualisierung“.

Es gebe nur zwei Wege für uns Menschen, Perspektive über die Gegenwart zu gewinnen: aus dem Vergleich mit der Vergangenheit und aus dem Vergleich mit andern.  Ihre Expertise sei eben ersteres, um Schüsse daraus zu ziehen, was jetzt zu tun sei. 

Neben dem Verhältnis von Natur und Gesellschaft allgemein interessiert sie dabei insbesondere die Geschichte der Umweltbewegungen. Diese seien ein Kind der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Zur konkreten Bedrohung der Menschheit durch Atomwaffen kam Anfang der 1960er Jahre die diffusere Bedrohung durch die Umweltverschmutzung. Sie verweist auf Günther Anders‘ Gebote des Atomzeitalters und Rachel Carlsons Silent Spring als zentrale Texte aus den Anfängen der beiden Bewegungen. 

In ihren Anfängen waren Umwelt- und Friedensbewegung auch inhaltlich eng miteinander verknüpft.  So war die „No Nukes“-Bewegung „durch Hiroshima getriggert“ und Überlebende des ersten Atombombenabwurfs nahmen 1972 an der ersten globalen Umweltkonferenz in Stockholm teil, erzählt Verena. Am deutlichsten werde das im Namen der Umweltschutzorganisation „Greenpeace“, die 1971 unter dem Eindruck des kalten Krieges und auch des Vietnamkrieges von Friedensaktivisten gegründet wurde. 

Heute zeigen Ressourcenkonflikte oder die klimainduzierte Migration diese Zusammenhänge sehr deutlich.

Die CO2-Emissionen des Militärs seien da vergleichsweise noch das geringste Problem, sagt Winiwarter, obwohl sie 5,5% der globalen Emissionen verursachen.  Das sei so, „als wenn Du einen metastasierenden Krebs hättest und ich frage Dich nach Deinem Ekzem auf der Wange

Landminen sind ein weiteres Riesenproblem. Aktuell ist die Ukraine das am stärksten verminte Land der Welt. Sie schaffen großflächig nicht mehr bewirtschaftbare fruchtbare Böden – eine der knappsten Ressourcen dieser Erde. Das nicht einmal 30 Jahre alte Landminen-Verbot kommt gerade jetzt wieder unter Druck).

Auch die enormen Materialbewegungen, die für die für Aufrüstung und Krieg benötigten Rohstoffe aufgewendet werden, und dort, wo sie herkommen, wiederum Konflikte verursachen, würden kaum thematisiert. 

Daher predige sie „den Frieden zu den Umweltleuten und die Umwelt zu den Friedensleuten.“ In ihrem Text „Gebote des Klimakrisenzeitalters (nach Günther Anders)“ hat sie dessen „Gebote“ in diesem Sinn weiter gedacht.

Am deutlichsten macht sie die Zusammenhänge aber anhand der Altlasten der Atomwaffenproduktion. Plutonium hat eine Halbwertszeit  von 24.000 Jahren. 20 bis 70 Tonnen wurden (je nach Quelle) bisher produziert. Das reicht für einige Tausend Atombomben. „Plutopia“ nennt die amerikanische Umwelthistorikerin Kate Brown daher auch unseren Planeten. „Nuclear Families, Atomic Cities, and the Great Soviet and American Plutonium Disasters” lautet der Untertitel ihres Buchs. 

In Österreich ist Verena Winiwarter die profundeste Kennerin dieser Thematik. In zahlreichen Vorträgen schildet sie eingehend die Zustände in der ehemaligen Plutoniumfabrik Hanford am Columbia River im US Bundesstaat Washington, die von 1945 bis 1987 betrieben wurde. Seit 1989 wird dort „aufgeräumt“ , „wobei diese Arbeiten durch systemische Korruption massiv behindert sind“, so Winiwarter.

Sie hat mir diese zu tiefst verstörenden Zusammenhänge ausführlich geschildert. Ich möchte sie hier aber selber zu Wort kommen lassen. Der hier verlinkte Vortrag wurde im Frühjahr 2024 auf Einladung des „Club of Vienna“ gehalten.

Zum weiterlesen:

Die Reue der Atombomben-„Väter“ (Beitrag von ORF.at)

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